Die Stolpersteine sind ein Projekt des Künstlers Gunter Demnig, das im Jahr 1992 begann. Mit im Boden verlegten kleinen Gedenktafeln, sogenannten Stolpersteinen, soll an das Schicksal der Menschen erinnert werden, die in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt, ermordet, deportiert, vertrieben oder in den Suizid getrieben wurden. Die quadratischen Messingtafeln mit abgerundeten Ecken und Kanten sind mit von Hand mittels Hammer und Schlagbuchstaben eingeschlagenen Lettern beschriftet. Sie werden meist vor den letzten frei gewählten Wohnhäusern der NS-Opfer in das Pflaster des jeweiligen Gehwegs eingelassen. Am 29. Dezember 2019 verlegte Demnig in Memmingen den 75.000sten Stolperstein. Stolpersteine wurden in Deutschland wie auch in 25 weiteren europäischen Ländern verlegt. Sie gelten als das größte dezentrale Mahnmal der Welt. Die Marke Stolpersteine ist von Demnig seit 2006 beim Deutschen Patent- und Markenamt und seit 2013 auf europäischer Ebene geschützt.
Mit den Stolpersteinen in Brünen wird an die ehemaligen Bewohner dieses Hauses, Familie Wertheim erinnert:
Aron Wertheim geb. 1872
Hulda Wertheim geb. 1874
Levi Wertheim geb. 1865
Selma Wertheim geb. Jakob 1877
Walter Wertheim geb. 1904
Paul Wertheim geb. 1915
Beitrag von Günter Heiligenpahl in dem Buch „Juden in Wesel und am Niederrhein – Eine Spurensuche“ Herausgegeben von Jüdisch-Christlicher Freundeskreis Wesel e.V. – ISBN 978-3-924380-91-5 in Auszügen.
„Isaak Wertheim kam mit seiner geringen Habe und einer vom Hund gezogenen Handkarre nach Brünen.“ So wusste es der Volksmund zu berichten. Schon 1840 wird Isaak Wertheim im Alter von 16 Jahren als Knecht im Haushalt seines Schwagers Jost Elkan und seiner Schwester Johanna genannt. Der Bruder Coppel zieht ebenfalls nach. Im Dezember 1849 machen sich die Brüder Isaak und Coppel Wertheim als Handelsmann und Compagnon selbstständig und wohnen zur Miete bei Familie Hermann Itjeshorst, Schneider und Musikant, in Brünen Nr. 116. Vor Dezember 1852 haben beide Brüder geheiratet und ziehen mit ihren Ehefrauen Henriette van Geldern und Henriette Löwenberg in das Haus Nr. 108. Beide üben jetzt den gleichen Beruf aus: Fleischer und Handelsmann.
Im Dezember 1855 wohnt Isaak mit Frau und zwei kleinen Kindern mittlerweile im Haus Nr. 108. Insgesamt werden dem Ehepaar Isaak Wertheim (gest. 1909) und Henriette geb. van Geldern (gest. 1905) zehn Kinder in Brünen geboren:
1) Dina, geboren um 1852, lebte bis 1867 im Elternhaus
2) Jeanetta, geboren um 1854, ist vor 1861 gestorben …
3) Keyn (Meyer), geboren um 1856, blieb ledig, Handelsmann, war Mitglied der Feuerwehr …4) David (Devis) geboren am 25.05.1858, blieb ledig, Handelsmann, Viehhändler, Fleischer. Mitglied bei der Feuerwehr … starb am 09. März 1937 …
5) Johanna (Hanneken) … geboren am 22.11.1860 in Brünen… im April 1939 verließ Isaaks Hanneken Brünen für immer… ist am 26.09.1942 in Treblinka umgekommen.
6) Julius, auch Joel, wurde am 10.02.1863 in Brünen geboren, hat sein Elternhaus vor 1880 verlassen…
7) Levi, geboren am 12.05.1865 in Brünen. Beruf: Viehhändler. Verheiratet (nicht in Brünen) mit Selma Jacob, gestorben am 07.03.1877 in Dinslaken. Das Ehepaar lebte etwa ab 1903 im neu gebauten Haus an der Weseler Straße im Dorf als Eigentümer. Mitglied der Feuerwehr, im Kriegerverein, im Schützenverein St. Johann, im Gesangverein Dornröschen, im Dorfer Kegelverein und im Kartklub im Gasthaus Brans.
… Levi Wertheim ist bereits am 30.04.1938 in Brünen gestorben und auf dem jüdischen Friedhof in Wesel begraben, der Grabstein ist erhalten. Seine nervenkranke Witwe wurde am 11.12.1941 in das Ghetto Riga deportiert, dort ist sie ums Leben gekommen.
Fünf Kinder sind dem Ehepaar (Levi und Selma Wertheim) in Brünen Nr. 104/I geboren:
a) Walter, geboren 17.08.1904, blieb ledig, Viehhändler, wohnte im Elternhaus. Am 10.11.1938 von der Gestapo verhaftet, am 16.11.1938 ins KZ Dachau eingewiesen. Auf ein Gesuch seiner kranken Mutter hin, sie beim Verkauf des Hauses zu unterstützen, wurde er freigelassen. Er floh, danach erneute Verhaftung, deportiert nach Riga, verschollen.
b) Henriette, geboren am 09.11.1905, verheiratet am 23.07.1937 in Brünen mit Simon Strauß, Viehhändler in Steinbach am Donnersberg, kinderlos. Beide sind in Frankreich während der deutschen Besatzungszeit umgekommen.
c) Erich, geboren am 18.09.1908, starb im Säuglingsalter an Diphterie …
d) Else, geboren am 20.03.1911, heiratet am 13.04.1934 in Brünen Huge Heilbronn …
e) Paul, geboren am 14.03.1915, blieb ledig, wurde vom Vater zum Viehhändler gezwungen, war unglücklich und stand im Schatten seines Bruders Walter. Am 10.11.1938 von der Gestapo Frankfurt in Koblenz „auf der Flucht“ verhaftet und ins KZ Buchenwald eingeliefert …
8) Jeanett, geboren am 12.06.1867 in Brünen, heiratet am 23.08.1901 in Brünen Levy Leeser… das Ehepaar hatte zwei Töchter
a) Erna Leeser, geboren am 04.02.1903, war schon in jungen Jahren von ihrem Onkel David Wertheim an Kindes statt angenommen worden und lebte bei ihm und seiner Schwester Johanna in Brünen. Am 09.09.1930 heiratete sie in Brünen den Kaufmann Ernst Humberg, geboren am 07.02.1893 in Dingden Nr. 13 …
b) Hilde Leeser, geboren am 17.07.1904 in Ruhrort … Nach dem Tod ihrer Schwester Erna heiratete sie am 01.12.1933 in Brünen Ernst Humberg …
9) Aron, auch Adolf oder Onkel Aa genannt, geboren am 02.02.1872 in Brünen, hatte im Beruf als „Reisender“ (Vertreter) wenig Glück, war Soldat im ersten Weltkrieg, wurde durch Giftgas verwundet und erblindete später deshalb. Über eine jüdische Heiratsvermittlung lernte er seine Frau Hulda Sonder aus Erfurt kennen, die am 04.02.1874 als reiche Viehhändlerstochter auf die Welt gekommen war …
10) Moses, geboren am 31.05.1875 in Brünen, von Beruf Viehhändler, verheiratet mit Frieda Bruckmann, geboren am 08.08.1889 in Xanten als Tochter von Abraham Bruckmann, Metzger, und Eline Arenberg. Moses Wertheim starb am 05.12.1935 in Brünen Nr. 104 und wurde auf dem jüdischen Friedhof in Wesel begraben. Oft hatte er von einer „richtig großen Beerdigung“ im Beisein des Brüner Kriegervereins, vielen Trauergästen und den Nachbarn gesprochen. Doch dann folgten nur einige treue Brüner Freunde seinem Sarg. Seine Witwe mit den Töchtern Herta, geboren am 18.04.1915 in Brünen und Ilse, geboren am 12.03.1921 in Brünen, verzogen nach Wesel.
Im Mai 1939 konnten die Töchter nach England ausreisen, für ihre Mutter waren die wichtigen Dokumente noch nicht fertig, sie sollte im Sommer nachkommen. Doch dann kam der Krieg, am 10.11.1941 wurde sie in das Ghetto Riga deportiert und dort ermordet.
Lange mussten die Töchter Herta und Ilse Wertheim auf Nachricht vom Schicksal ihrer Mutter warten. In England blieben sie zusammen und heirateten beide nach dem Krieg. Ihre Ehemänner Georg Feilmann und Siegfried Schlesinger hatten aus dem KZ Ravensbrück fliehen und nach England entkommen können. Dort traten sie dem englischen Militär bei, „um Deutschland, also ihre Heimat, von den Hitlernazis zu befreien“. Ilse Schlesinger lebt im Alter von über 90 Jahren in Birmingham, Herta Feilmann ist bereits verstorben.
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