06 Die Siedlung „Am Mühlenteich“

Die Entstehung der Siedlung am Mühlenteich ist eine Geschichte vom Aufbruch nach dem zweiten Weltkrieg in eine neue Zeit, die von Gemeinsinn und Schaffenskraft geprägt ist. Die Wohnungsnot ist in dieser Zeit sehr groß, da in Brünen sehr viele Kriegsvertriebene, Evakuierte und Bombengeschädigte untergebracht werden mussten. Viele Vertriebene gingen bis Mitte der 1950er Jahre wieder in ihre Heimat zurück, wenn es möglich war oder hatten in anderen Regionen einen Platz gefunden. Viele blieben aber in Brünen und bekamen in den Handwerksbetrieben oder in der Landwirtschaft Arbeit und kamen in deren Häusern unter. Aber nicht alle konnten auf diese Art dauerhaft untergebracht werden, daher musste für sie Wohnraum geschaffen werden. 1952 entschloss sich die Kirchengemeinde Brünen im Wege des Tausches, das Gelände zwischen Rohstraße und Mühlenbach zur Verfügung zu stellen.

Das war die Grundlage dafür, dass sich zwölf Siedler, sieben eingesessene Brüner Arbeiter, drei Ortsvertriebene und zwei Bombengeschädigte zu einer Siedlergemeinschaft zusammenfanden. Am 10.04.1952 kam es dann zur Gründungsversammlung der „Arbeitsgemeinschaft Siedlerinteressenten in der Gemeinde Brünen“. In dieser Versammlung ließen sich 17 Personen einschreiben und wählten Rolf Röpke zu ihrem Vorsitzenden. Als Schirmherren gewannen sie zu ihrer Unterstützung den damaligen Bürgermeister Alfred Kevelmann, den Kirchmeister Heinrich Kippen und den Brüner Architekten Heinrich Hemsteg, die ihre Hilfe zusagten. Mit Hilfe des Kirchenrats von Stutenheim fasste das Brüner Presbyterium den Beschluss, das Siedlungsgelände in einer Länge von 200 m und in einer Tiefe von 30 m den Siedlern in Erbpacht zur Verfügung zu stellen. Der Brüner Architekt Heinrich Hemsteg entwarf den Plan, der dann vom Ruhrsiedlungsverband genehmigt wurde und Landes- und Regierungszuschüsse wurden beantragt.

Bei dem Siedlungsbau handelte es sich um zwölf Häuser mit je einer Siedler- und einer Einliegerwohnung. Der Einzelbau wurde mit 18.000 Mark veranschlagt. Von jedem Siedler wurde mindestens 5.000 Mark Eigenleistung verlangt. Insgesamt wurde jedem Siedler 900 qm zur Verfügung gestellt, so dass ein großer Garten zur Selbstversorgung angelegt werden konnte.

Während die Siedlerwohnung drei Wohnräume, eine Kochnische und Stallung umfasste, bestand die Einliegerwohnung aus zwei Räumen, einer Kochnische und einer Waschküche. Die Einliegerwohnungen wurden Evakuierten zur Verfügung gestellt, die noch notdürftig in Behelfswohnungen untergebracht waren.

Es waren viele bürokratische Hürden zu nehmen, bis man anfangen konnte. Nach Erzählungen des Vorsitzenden der Siedlergemeinschaft Rolf Röpke hat auch der damalige Landwirtschaftsminister und spätere Bundespräsident Heinrich Lübke bei einer Wahlkampfveranstaltung Unterstützung bei der raschen Auszahlung von Fördermitteln zugesagt. Knapp ein Drittel der Bausumme mussten die Bauherren in Eigenleistung erwirtschaften. Das war damals bei einem Monatseinkommen von um die 300 Mark nur mit Muskelkraft möglich.

Noch im September des gleichen Jahres begannen die Siedler die Hohlblocksteine für die Wände in Eigenleistung zu erstellen. Die Gemeinde Brünen stellte ihnen dafür Sand und Kies kostenlos zur Verfügung.

Im darauf folgenden Jahr begann man mit den Ausschachtungsarbeiten, die vorwiegend mit Hand und Schaufel erfolgte. Ebenso setzte man die ersten Fundamente und bohrte Brunnen für die eigene Wasserversorgung.

Alle Arbeiten wurden von den Frauen und den Männern gemeinsam verrichtet. Während die meisten Männer tagsüber ihrem Beruf nachgehen mussten, arbeiteten die Frauen schon an der Baustelle. Sie hoben mit Spaten und Schaufel die Gruben aus, schleppten Steine und rührten Speis an.

Da wurde nicht lange geschaut, sondern angepackt und gearbeitet. Ob Schubkarren beladen oder Kies in die Speismaschine gescheppt werden musste, jeder fasste mit an. Niemand fragte danach, wessen Bau gerade an der Reihe ist. Hier stand einer für alle und alle standen für einen und hin und wieder sogar mit einem fröhlichen Lied auf den Lippen.

Nicht nur die Ausschachtungen erfolgten in reiner Handarbeit, auch die Herstellung der Betonsteine für die Kellerwände, das Gießen der Fundamente, der Bodenplatte und der Kellerdecken. Für die Wasserversorgung wurden Brunnen gebaut. Pro Haus wurden 40 Karren Kies vom Baggerloch auf dem Stenksberg mit Fuhrwerken herangeschafft.

Bild aus der Rheinischen Post im Oktober 1954

Nachdem in den Baugruben schon die Betonböden gegossen, die Kellerwände hochgezogen und schon einige Kellerdecken gegossen waren, hatte man für den 23.Oktober 1954 die offizielle Grundsteinlegung angesetzt. Es waren neben den Siedlern die Vertreter der Gemeinde, der Siedlungsgesellschaft, der Kirchengemeinde und dem Architekten Heinrich Hemsteg viele Gäste geladen. Die Grundsteinlegung erfolgte durch Bürgermeister Kevelmann, der die Messinghülse mit einer Urkunde und einer aktuellen Tageszeitung einmauerte. Pfarrer Müschenborn spendete dazu den Segen der Kirche.

Hier Bilder eines Zeitungsausschnitts von der Grundsteinlegung am 23.10.1954 und der Urkunde. Der Text auf der Urkunde beginnt mit dem Satz: „Aus Mangel an Wohnungen, in Furcht vor Gott, im Kampf mit Bürokratismus und Neidern schlossen sich im Jahre 1952 die Siedler Fritz Cappell, Hermann Lodder, Alfred Proft, Rolf Röpke und Theo Tenoth mit ihren Ehefrauen zusammen und gründeten die Siedlungsgemeinschaft Brünen e.V. (…)“

Zusammen mit dem Bauunternehmer Brüggink ging es danach weiter mit dem Aufmauern der Hauswände und dem Gießen der Erdgeschossdecken. So konnte man im Dezember 1954 mit dem Richten der Dachstühle in Eigenleistung beginnen. Das dazugehörige Richtfest feierte man natürlich ausgiebig.

Die Frauen der Siedler schmückten den „letzten Sparren“ mit Tannengrün und Schleifen. Nach alter Tradition war es dann nicht leicht für die Beteiligten diesen letzten Sparren an seinen Platz zu befördern. Nachdem das geschafft war, wurde der Richtkranz gesetzt. Das waren sehr stolze Momente für die fleißigen Siedler. In der Nacht nach dem Richtfest gab es einen Gewittersturm der an einigen Dachstühlen Schäden anrichtete, aber unter Mithilfe der örtlichen Handwerker wurde das wieder repariert.

Weit über zehntausend Arbeitsstunden wurden insgesamt erbracht, die auch entsprechend im „blauen Stundenheft“ festgehalten wurden, um die geforderte Eigenleistung zu belegen. Diese Arbeit war von einem Erfolg gekrönt, der auch weit über Brünen hinaus große Beachtung fand.

Mitte des Jahres 1955 waren die Häuser dann bezugsfertig und es wurde an jedem Haus, wenn es bezogen wurde, durch die Nachbarn ein Kranz aufgehängt, wie es in Brünen Sitte war. Dazu gehörte auch, dass die Nachbarn das erste Herdfeuer ansteckten, was nicht immer und sofort klappte. Nachdem die Familien eingezogen waren, begannen sie mit der Bepflanzung in den Vorgärten und auf der Rückseite mit dem Anlegen der Nutzgärten. Auch die kleinen Ställe wurden dann zum Beispiel mit Hühnern belegt.

Damit fand eine große Gemeinschaftsleistung ihr erfolgreiches Ende und aus der Siedlergemeinschaft wurde in den Jahren danach eine verschworene Nachbarschaft, die auch weiterhin Freud und Leid miteinander teilten.

PDF—> Die Siedlung „Am Mühlenteich“ <—PDF