Geschichtliches zur Gründung von Molkereien und Molkereigenossenschaften
Mit Auszügen aus: „50 Jahre Landfrauengeschichte und Dorfgeschichte(n) aus Brünen, Weselerwald und Dämmerwald“, Herausgeber: Landfrauen Brünen 1999 und aus dem Buch „Brünen – Das Jahrhundertbuch“ Band 3 von Wilhelm Elmer
Tierische Milch zählte seit der Sesshaftwerdung des Menschen zu einer wichtigen Nahrungsquelle. Da Rohmilch nur begrenzt haltbar ist, wurde sie zu Butter und Käse verarbeitet. Diese Veredelung erfolgte dabei hauptsächlich im eigenen Betrieb, z.B. mit Hilfe eines Butterfasses oder eines Käseseihers. Die verarbeiteten Mengen waren meist gering und dienten vorrangig der Selbstversorgung des Hofes, wobei man bedenken muss, dass manche Höfe durchaus 10 und mehr Bewohner hatten.
Wissenschaftliche Entdeckungen wie das Pasteurisieren und technische Entwicklungen im 19. Jahrhundert führten zur industriellen Verarbeitung der Milch. Mit der Erfindung der Milchzentrifuge durch Wilhelm Lefeldt 1876 gelang es, den Rahm von der Magermilch zu trennen und so die Butterherstellung zu revolutionieren. Als Antriebskraft diente die Dampfmaschine, eine der größten Errungenschaften dieser Zeit.
Verbessertes Wissen über Ackerbau sowie Zucht und Fütterung steigerten die Milchleistung der Tiere, so dass man sie nicht mehr selber verarbeiten und verbrauchen konnte. Zeitgleich ging ein rasches Anwachsen der Städte infolge der Industrialisierung einher und immer mehr Milchprodukte fanden Absatz, was eine neue wirtschaftliche Quelle für die Landwirtschaft ergab.
Molkerei Brünen
Diese Entwicklung ging auch an Brünen nicht vorbei. Im Protokollbuch des am 8. November 1884 gegründeten Landwirtschaftlichen Casinos zu Brünen befinden sich mehrere Einträge, die sich mit der Errichtung einer Molkerei auf genossenschaftlicher Basis befassen. Unter anderem wird durch Herrn Schulte-Bunert über die Besichtigung einer Molkerei in Braunschweig berichtet. Aufgrund der dort gewonnenen Erkenntnisse kommt man zu dem Ergebnis, dass eine in Brünen zu gründende Molkerei auf gleicher Grundlage, aber in kleinerem Umfang, sich wohl rentieren würde. In dieser Sitzung vom 19.02.1892 trugen sich 21 Casino-Mitglieder in eine Liste ein, um an der Gründung einer Molkerei mitzuwirken. Die Gründung der Molkereigenossenschaft Brünen erfolgte noch im gleichen Jahr und als Vorsitzender wird H. Schulte-Bunert, Hausnummer 97 genannt.
Jeder Milcherzeuger, ob Bauer oder Handwerker, konnte sich bei der Genossenschaft anmelden. Dort bekam er die anstehende fortlaufende Nummer, diese war seine Genossenschaftsnummer und gleichzeitig auch die Nummer der Kanne, in der die Milch angeliefert wurde, beziehungsweise auch der sogenannten Butterkiste (Plattdeutsch „Botterkes“).So konnte es sein, dass die Kannennummer eines Bauern in Havelich, die Anschlussnummer eines Bauern in der Unterbauerschaft war.
Die ersten 8 registrierten Genossen waren die Vorfahren der nachstehend aufgeführten Personen:
1 Karl Buschmann, heute Wilhelm Reeh, Haus-Nr.97
2 Ewald Wefelshütten, heute Bottermann, Haus-Nr. 236
3 Johann Mölls, heute Martin Locker/Petra Neu, Haus-Nr. 251 1/2
4 Johann Schulten, heute Walter Schulten, Haus-Nr. 130
5 Karl Stenk, heute Ernst Stenk, Haus-Nr. 237
6 Heinrich Kippen, heute Gisela Schmidt-Hüfing, Haus-Nr. 252
7 Friedrich Weinkath, später Hans Richartz, Haus-Nr. 253
8 Johann Willich, heute Heinz Willich, Haus Nr. 144
Der letzte eingetragene Milchanlieferer war der Schullehrer Karl Berkenhoff mit der 371. Eintragung. Unter dieser Nummer war auch noch der Lehrer Theodor van Marwik ein Milchlieferant. Im Zuge der fortschreitenden Industrialisierung gaben viele kleine Leute, so sagte man im Volksmund, insbesondere Handwerker den landwirtschaftlichen Nebenerwerb auf. Später trennten sich auch kleinere landwirtschaftliche Betriebe von der Milchviehhaltung. Die frei werdenden Genossenschafts-Nummern blieben unbesetzt, konnten auch nicht von anderen Genossen in Anspruch genommen werden. Fazit: es gab zu keiner Zeit gleichzeitig 371 Milchanlieferer bei der Molkereigenossenschaft Brünen. 1964 waren es noch 235 Milcherzeuger, die ihre Milch täglich anlieferten.
Die Milchkarre
„Milchkarre“ war die Bezeichnung für eine Fahrgemeinschaft zu der sich einige benachbarte Betriebe zusammengeschlossen haben, um gemeinsam ihre Milch zur Molkerei zu transportieren. Meistens waren es fünf oder sechs Betriebe. Jeder fuhr an einem bestimmten Wochentag, sonntags tauschte man reihum. Anfang der fünfziger Jahre fuhr man mit Pferd und Karre (einachsiger Wagen aus Holz) von Hof zu Hof und sammelte die Milchkannen ein. Später lieferte man die Milch mit dem Trecker und Anhänger zur Molkerei nach Brünen oder Marienthal. Die Havelicher „Milchkarren“ brauchten nicht bis zur Molkerei zu fahren. Sie konnten ihre Milch an der Sammelstelle Raesfelder Straße/ Gertendorfer Weg abgeben. Von dort wurden die Milchkannen zur Molkerei gefahren. Jeder Betrieb hatte eine eigene Liefernummer, die auf den 20-Liter-Kannen dauerhaft angebracht war. An der Molkerei war man verpflichtet, seinem Vorgänger an der Rampe beim Ausschütten und Wegstellen der Kannen behilflich zu sein.
Zur Qualitätsbestimmung wurde der ph-Wert der angelieferten Milch gemessen. Da nur eine Kühlung der Milchkannen in einem Wasserbecken auf den Betrieben üblich war, kam es besonders im Sommer vor, dass die Milch angesäuert war. Sie musste dann zurückgenommen werden. Die angelieferte Milch wurde in Brünen in erster Linie zu Butter verarbeitet, weitere Milchmengen wurden in großen Milchtanks ins Ruhrgebiet transportiert. Dienstags und donnerstags erhielten die Lieferanten je 5 Liter Buttermilch in ihren Kannen zurück. Diese wurde dann im Haushalt verbraucht. Für Kälber- und Schweinefütterung konnte man Magermilch bekommen, die ebenfalls in den Milchkannen mit auf den Hof genommen wurde.
Freitags war Ausgabe von Butter und Käse. Jeder Lieferant gab seine Butterkiste dem Fahrer der Milchkarre mit und erhielt darin seine Bestellung zurück. Auf dem Heimweg von der Molkerei wurden auch die notwendigen Besorgungen bei der Warengenossenschaft und in den Lebensmittelläden gemacht. Wichtige Nachrichten, die ohne Postzustellung schnellstens übermittelt werden sollten, kamen als Zettel an die Milchkannen. So erhielt ohne Verzögerung und zusätzliche Kosten jeder Hof eine Mitteilung.
Bei den zuvor genannten Fahrgemeinschaften, der Milchkarre (plattdeutsch: „Melkkor“) gab es verschiedene Absprachen, denn die Milchmenge war von Nachbar zu Nachbar verschieden. Demnach musste der kleine Bauer evtl. ungleich größere Milchmengen von seinem Nachbarn mitnehmen. Man einigte sich immer großzügig, so fuhr der Bauer, der viel Milch erzeugte, zweimal in der Woche, oder es gab eine zünftige Nachbarzeche. Oft hatten kleinere Bauern zum Beispiel nur drei Kühe, aber kein Pferd, daher erhielten die anderen an der Fahrgemeinschaft beteiligten Bauern als Entschädigung einen Obolus, den Milchpfennig, der sich nach der mitgenommenen Jahresmilchmenge richtete.
Am Ende eines jeden Jahres wurde das miteinander verrechnet. Dazu trafen sich die Teilnehmer aller „Melkkoren“ am 3. Januar um gemeinsam die Milch zur Molkerei zu bringen und dann anschließend in eine Gaststätte einzukehren um abzurechnen. Nach dem Abrechnen, das schnell erledigt war, widmete man sich sehr schnell dem Kartenspielen. Das dauerte manchmal bis zum anderen Morgen, und so Mancher hat das eingenommene „Milchgeld“ dabei wieder verspielt. Diese Tradition zum 3. Januar halten die Brüner Schützenverein immer noch lebendig.
An der Molkerei fand durch die „Melkkor“ immer eine rege Kommunikation statt. Berufskollegen und Nachbarn waren durch diese Gespräche immer gut über das Tagesgeschehen in der Gemeinde informiert. Dieser Teil der „schönen, alten Zeit“ endete im Dezember 1966 mit der Fusion der Brüner Molkerei mit dem Milchhof in Duisburg.
1935 bis 1938 wird eine neue Molkerei gebaut
Die erste im Jahre 1892 erbaute Molkerei genügte den Anforderungen erhöhter Milchanlieferungen nicht mehr, somit wurde Mitte der 30er Jahre nicht nur ein neues Gebäude an der Stelle des alten errichtet, sondern auch der technische Fortschritt berücksichtigt. 1935 wurde das Betriebsgebäude mit der Annahmerampe fertiggestellt. 1938 konnte der Verwaltungstrakt mit Sitzungszimmer, Labor und Wohnung für den Molkereiverwalter eingeweiht werden.
Trotz der Wirtschaftskrise erhielt die Molkereigenossenschaft 1931 den ersten luftbereiften LKW, die Vollgummireifen hatten nunmehr ausgedient. Schon in den 20er Jahren wurde die Milch der Havelicher Bauern abgeholt. An der Kreuzung bei dem Kolonialwarengeschäft Neuenhoff (Tante Berta) befand sich eine sogenannte Milchrampe, auf der die Bauern die nummerierten Kannen mit der Milch absetzten und später das Leergut wieder abholten.
Kurz vor Kriegsende, im März 1945, wurde die Molkerei durch einen Volltreffer des Betriebsgebäudes vorübergehend stillgelegt. Brüner Handwerker konnten das besonders stark beschädigte Rohrsystem jedoch schnell wieder instand setzen.
1961 erfolgte eine Fusion mit der Molkerei Obrighoven unter dem Namen Milchversorgung Wesel. Ab Oktober 1963 bis Juni 1964 entsteht die Milchverwertung Niederrhein durch die Aufnahme weiterer umliegender Molkereigenossenschaften. Ab Juli 1964 findet eine weitere Verschmelzung statt. Es entsteht die Milchversorgung Duisburg-Oberhausen. Die Molkerei Brünen war nun wegrationalisiert. Ab dem 1. Januar 1967 wird an der Molkerei in Brünen keine Milch mehr angeliefert. Die Milch wird nun mit Spezial-Milchkesselwagen bei den Bauern abgeholt. Sie wird bei jedem Bauern gewogen und Proben zur Qualitätskontrolle werden entnommen. Herbert Zabel war der erste Milchwagenfahrer, der bei den Brüner Bauern die Milch abholte.
In den Räumen der ehemaligen Molkerei führte die „Landwarengenossenschaft Brünen“ danach ihren Geschäftsbetrieb durch, bis auch diese einige Jahre später mit anderen Warengenossenschaften in der Nachbarschaft fusioniert wurde und in Brünen den Geschäftsbetrieb einstellte.
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